Börse Specific – ROUNDUP/Kreis: Die Gehaltskürzung würde auch viele einfache VW-Rennbretter treffen

WOLFSBURG/LEIPZIG (dpa-AFX) – Mögliche Gehaltskürzung für Betriebsräte bei Volkswagen und in anderen großen Unternehmen können nicht nur die Spitzenverdiener, sondern auch viele Arbeitnehmervertreter aus unteren Einkommensgruppen betroffen sein. Stimmen aus der Gruppe bestätigten am Dienstag, dass weitere Einzelheiten zu den Auswirkungen der Berufungsentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) erst nach Vorlage der Urteilsbegründung gesagt werden können. Schon jetzt ist aber absehbar, dass es im Falle eines „Extremszenarios“ zu spürbaren Einbußen bei der Vergütung kommen wird – sowohl bei den obersten als auch bei den einfachen Gesellschaftsorganen.

VW bereit ist, muss sie möglicherweise das interne Tarifsystem für ihre rund 250 Arbeitnehmervertreter grundlegend überarbeiten. Dazu sind konkrete Angaben zur Argumentation des BGH erforderlich. Die Arbeitsgruppe prüft jedoch bereits die möglichen Folgen.

Der springende Punkt ist hier die “hypothetische” Karriereentwicklung der Rasseratsmitglieder. Kann die Aussicht auf zusätzliche Verantwortung oder eine Place mit größerer Verantwortung ein Maßstab dafür sein, wie viel sie verdienen? Oder muss immer eine sogenannte Vergleichsgruppe hinzugezogen werden – mit ähnlichen Tätigkeiten wie zu Beginn einer Betriebsratskarriere?

Ein ohnehin schon arbeitsrechtlich kompliziertes Thema führte 2021 zu einem aufsehenerregenden Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig. Vier Personalchefs bei VW wird vorgeworfen, zwischen 2011 und 2016 unangemessen üppige Gehälter und Prämien genehmigt zu haben, so der Oberbetriebsrat der Staatsanwaltschaft. Der ehemalige Betriebsratschef Bernd Osterloh kam in manchen Jahren auf mehr als 700.000 Euro.

Da sie den Gewinn schmälerte und die Einkommenssteuern senkte, warfare die Anklage ein Vertrauensbruch. Das Gericht sprach die Geschäftsführer frei, weil nach seiner Auslegung eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht nachgewiesen werden konnte. Diese Entscheidung wurde jedoch kürzlich aufgehoben: Die 6. Kammer des BGH hat vor zwei Wochen entschieden, dass sie die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Frage des Vorsatzes warfare unvollständig. Deutschlands oberstes Straf- und Zivilgericht verwies den Fall zurück nach Braunschweig.

Sollte sich bestätigen, dass mögliche Karrierewege – auch hin zu Führungsaufgaben – nicht mehr Grundlage für die Gehaltseinstufung von Betriebsräten sein sollten, müssten laut Insidern nur die Spitzenverdiener nicht mit Kürzungen rechnen. Auch ein Teil der Tarifvergütung müsste neu geordnet werden.

Berichten zufolge beziehen derzeit 98 Prozent der Betriebsratsmitglieder in den sechs westdeutschen VW-Werken, Osnabrück ausgenommen, tarifliche Normallöhne. Vier Personen sind den Managementgraden zugeordnet. Andererseits gibt es jedoch eine “große Untergruppe von Fällen”, in denen wahrscheinlich keine Änderung erforderlich ist, weil für sie kein hypothetischer Karriereplan formuliert wurde.

Davon ist auch die Konzernratsvorsitzende der Gruppe, Daniela Cavallo, betroffen. Sie werde nach Osterlohs Ablösung im Frühjahr 2021 rund 100.000 Euro als festes Jahresgehalt erhalten – plus einen fünfstelligen Betrag aus Boni, die vom Geschäftserfolg und anderen Kriterien abhängen. An dieser Größe habe sich zuletzt nichts geändert, hieß es am Dienstag. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich Cavalls Gehalt ändern wird.

Nach “Handelsblatt”-Informationen wurden inzwischen 170 Betriebsräte angeschrieben, denen keine Kürzungen drohen. Einer relativ kleinen Gruppe drohen hingegen erhebliche Verluste. Das Unternehmen prüfe die Scenario weiter und spreche mit einzelnen Mitarbeitern, hieß es. Es geht darum, auf das „Was wäre wenn?“ vorbereitet zu sein. Offiziell gilt mit Blick auf die noch ausstehende schriftliche Rechtfertigung des BGH weiterhin: „Die Volkswagen AG schließt sich dieser Entscheidung an.“

Der zentrale Punkt dabei, auch außerhalb Wolfsburgs: Das Betriebsgesetz, das im Wesentlichen die Vergütung der Arbeitnehmervertreter regelt, stammt aus den 1970er Jahren – und seine Regelungen gelten vielen Rechtskommentatoren als veraltet und ungenau. Laut Gesetz ist immer abzuschätzen, auf welcher Karrierestufe sich ein Mensch heute befinden würde, wenn er anstelle eines „Ehrenamtes“ im Vorstand eine vergleichbare Führungsposition bekleiden würde. Nach Ansicht verschiedener Arbeitsrechtsexperten gibt es noch keine klare Vorgabe, welche Vergleichsgruppen für die Einbeziehung eines erfahrenen Betriebsrats ausschlaggebend sind.

Mehrere Änderungsanträge und Reformversuche der Politik sind noch nicht vorangekommen. Die richtungsweisende strafrechtliche Entscheidung könnte nun viele andere Unternehmen mit ähnlicher Praxis bei der Vergütung von Betriebsräten zum Wechsel bewegen – wobei Arbeitsgerichte die Praxis oft gelassener sehen./jap/DP/jha

 ISIN  DE0007664039

AXC0200 2023-01-24/14:26

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